Einbildung

Lass uns Kaffee trinken gehen, sagt Arthur, als wir die Gemäldegalerie verlassen, ich brauch jetzt innen auch ein Bild.

Wie soll ich das verstehen?, frage ich.

Am besten einen Espresso, sagt Arthur. Wenn der Kellner mit dem Zucker und der Espressotasse kommt, stellt er mir das Mittelmeer auf den Tisch, ich trinke dann Sonne und erschaffe mir inwendig mediterrane Sanguinität, ich stülpe also mein Innenbild nach außen, verstehst du?

Aha. Wir verlassen also die Gemäldegalerie und gehen in den Alltag wie in eine neue Gemäldegalerie, sage ich, die Welt als Museum...

Ja, die Welt ist das Museum, das Museum die Welt, das Weltmuseum steckt in uns oder nirgends. Du musst nur einen Espresso bestellen.

Einfach so?

Ja, so einfach ist das.

Nachsicht

Du gehst mir zu schnell an den Bildern vorbei, Arthur, warum nur diese Eile?

Arthur bleibt mitten im Baselitz-Saal stehen, dreht sich, indem er alle Bilder der Reihe nach abnickt, um sich selbst, und sagt zu mir wie nebenbei: Du hast keine Augen im Kopf, du kannst nicht richtig sehen, das Sehen hat ja nichts mit der Zeit zu tun. Wenn ich mir die Bilder an den Wänden ansehe, ist es, wie wenn ich mich an die Bilder erinnere.

Der nimmt mich auf den Arm, denke ich jetzt. Gilt das, frage ich, auch für die Bilder, die dir neu sind?

Weißt du, sagt er, die neuen Bilder sind doch immer die alten Bilder, sie tragen nur neue Kleider. Ich ziehe die Bilder aus, wenn ich sie ansehe.

Ach so, sage ich, du kennst die Bilder alle schon?

Ja, ich schaue nur nach, ob sie richtig gemalt sind.

Göttliche Komödie 

Das Theater ist mein Lebenszimmer, es ist meine Kirche, denkt Arthur. Es ist die einzige Religion, die mir angemessen ist, die ich mir anpassen kann. Wenn ich mir alle Zuschauer wegdenke und mich dazu, wird dann das Ensemble zum Publikum? Und wenn ich mir das Ensemble wegdenke, bin ich dann Bühne? Schwer zu sagen.

Ohne mich, denkt Arthur, läuft überhaupt kein Stück. Ich erschaffe Stück und Autor im Nachhinein, und indem ich die Existenz des Erlebbaren stifte, erschaffe ich mich selbst, redet er sich ein.

Aber skeptisch fragt er sich auch: Bin ich, weil du du bist, ich? Bist du, weil ich ich bin, du? Eine dialektische Zwickmühle, denkt Arthur, wie komm ich da raus?

Das Theater ist eigentlich nur ein Stück in meinem Stück, antwortet er sich, aber auch mein Stück ist nur ein Stück vom Stück. Die Summe aller Stücke, die ich spiele, ergibt kein ganzes Stück. Ich höre noch nicht einmal den Beifall für meine eigene Katastrophe.

Carpe noctem

Eines Tages, sagt Arthur, wache ich nachts auf, und ich weiß nicht, bin ich wach, bin ich nicht wach, gehört das noch zum Traum - und während ich hier mit dir rede, frage ich mich, bin ich jetzt wach oder bin ich nur in einem anderen Traum?

Und wie entscheidest du dich?, frage ich.

Genauso wie ich mir am Tag einrede wach zu sein, begreife ich die Wirklichkeit als Metapher des Traums oder den Traum als Metapher der Wirklichkeit, ich weiß nur nicht, wann das eine und wann das andere stimmt, ich vermute, es läuft so oder so auf das Gleiche hinaus, sagt Arthur.

Wie kannst du, frage ich, in dieser Ungewissheit leben?

Indem ich mit ihr lebe wie mit der Nacht in meinem Traum, sagt er. Weißt du, die Sicherheit der Wissenden kommt mir so bodenlos vor, dass ich glaube, meine Unsicherheit gibt mir da viel mehr Halt.