Solche Bücher sind nicht für einen Nachmittag oder für eine Bahnfahrt, sondern für ein ganzes Leben. Ich habe in deinen Geschichten gerne geschmökert und werde mein Leben lang weiterschmökern. Deine Texte sind von großer aphoristischer, gedanklicher, wenn nicht poetischer Dichte. … Deine Texte stehen in der Tradition großer Essayisten und Prosadichter: Montaigne, Wilde und Nietzsche. Oft spürte ich beim Lesen deiner Texte die heisere Stimme Zarathustras. Also sprach Zarathustra… Dein Buch ist das Beste, das ich in den letzten Jahren auf Deutsch gelesen habe. Joachim Zelter

Neu: Ulrich Bergmann - Kritische Körper

Terres … ist hart und grenzgängerisch, aber das ist die Eiszeit (oder, ins Heute gedreht: die Wolfszeit) auch. Im Angesicht des Neoliberalismus wird man als Schamane nur eine extreme Position beziehen können, alles andere geht wahrscheinlich unter im Brei. Freundlichkeit gegenüber den Verhältnissen ist nicht angebracht, das darf man sich fürs Zwischenmenschliche aufheben und froh sein, wenn ein solches stattfindet. Ich stelle mich da voll hinter die Geschichte, sie erinnert mich an ein Musikstück von THE CURE: WATCHING ME FALL (das Album heißt bezeichnenderweise BLOODFLOWERS), 12 Minuten virtuoses Lauern, das einem wie eine Gletscherzunge das Gebirge nach und nach die Ohren abschmirgelt… André Schinkel, 27.9.2005

Ehrlich, ich hab noch nie eine solche Geschichte gelesen. Grandios - im Großen wie im Detail, brachialer Existenzialismus im Gewand einer hochästhetischen Sprache. Wie immer man es nennt, es ist Gefühl, pur, Macht, vollkommene Hingabe, Gewalt eher nicht. Ich mag die Freiheit zu sehr, um ihr Schranken zu setzen und sei es nur in der Sprache… Die Sprache ist bisweilen extrem dicht, der unterschwellige Handlungsrhythmus mitreißend. Nichts, was nach leichter gefälliger Kost klingt. Der Terres wird Dir noch an den Füßen kleben wie Pech... Prof. Dr. Eberhard Loosch, Jena 13.8.2006

KRITIK DER TAKTISCHEN VERNUNFT:
Ulrich Bergmann - Kopflose Handlungen

„Ich habe mir eine Lebensversicherung aufschwatzen lassen, sagt A.
Dann kannst du leichter sterben, sagt B.
Nein, sagt A, ich lebe leichter.
Wieso, sagt B, ist dein Leben nun sicherer geworden?
Nein, sagt A, mein Tod.
Da machst du aber kein gutes Geschäft, sagt B.
Im Gegenteil, sagt A, je früher ich sterbe, umso größer der Gewinn.“ So oder so ähnlich, aber auch ganz anders, gehen die Geschichten, die Ulrich Bergmann in seinem ersten Buch herausbringt. Es geht in den bizarr heiteren Geschichten mit ernstem Hintergrund immer gleich ums Ganze, es geht um Kopf oder Zahl des Lebens. Einer telefoniert auf seinem Handy, er passt nicht richtig auf und verliert konsequent seinen Kopf. Zwei Henker enthaupten sich gleichzeitig um die Wette und keiner will mit dem Kopf, den er verloren glaubt, nicken. Der brasilianische Fußballgott schießt seinen eigenen Kopf, den er beim Zusammenstoß mit einem Kopfballgegner verlor, ins Tor, aber in der Fernseh­über­tragung ist das nicht zu sehen.

 

 

 

In den Rudnikow -Geschichten ist das Geschehen der Seins-Paradoxien nach Russland und sogar Peking verlegt. Rudnikow geht über das Wasser der Newa und zertrümmert mit der Stirn seine Armbanduhr um seine Zeit zu retten. Er philosophiert mit einer Dirne in Odessa über die kapitalistische Magie des Weibes. In den acht Schlange -Geschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert, und in den Geschichten von Schatten und Echo die zweifache Doppel-Schizophrenie von Ich und Ich und Ich und Du und Du und Ich und Du und Du.

Bergmann schrieb mit diesen Geschichten eine Kritik der taktischen Vernunft. Sie stehen in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels oder Bertolt Brechts, sie zeigen die Sinnlichkeit der Unvernunft, aber sie belehren nicht. In einigen „Denkgeschichten“ werden triviale Alltagserlebnisse zu abgründigen Erfahrungen (Leo Gillessen in der deutsch-belgischen Literaturzeitschrift Krautgarten 36/2000), da ist die heftige Anwesenheit des Todes spürbar, aber die Helden der alles in allem 90 Geschichten retten sich oft in der Entdeckung der eigenen Göttlichkeit. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlusspointen zum Schmunzeln oder Lachen bringen, das fast im Halse stecken bleibt.  

Ulrich Bergmann, Kopflose Handlungen

109 Seiten (Paperback), 14.80DM, ISBN 3-930349-20-5, zu beziehen nur noch antiquarisch oder per e-mail an den Autor (im Impressum)

ERLEBNISSE ODER ANDERE MÄRCHEN

Ulrich Bergmann, "Kopflose Handlungen". Verlag R. Wagner. Pyrbaum 1999.
Zirka neunzig Texte von Ulrich Bergmann sind im Band "Kopflose Handlungen' zusammengefaßt.
Worum geht es in den Texten. die am ehesten als Geschichten zu bezeichnen sind, da sie erzählt sind - wie Erlebnisse oder andere Märchen?

Es geht um Glück und Unglück, um die unglaubliche Ansammlung wenigen Lebens und die glaubwürdige Vielfalt des Todes, es geht um Menschen und Nachrichten um Fußball und rollende Köpfe, um Spiele und Götter, kurz: um die größtmögliche Vielfalt unversöhnlicher Gegensätze und Gedanken, vor allem Gedanken. die in jedem gerade wirklichen Augenblick das ausmachen, was gemeinhin Leben im alltäglichen Wahnsinn genannt wird.

Aus den Bildbeobachtungen, die oft schon phantastische Beobactun­gen scheinbar trivialer Vorgänge oder Erleb­nisse sind, entwickeln sich Gedanken­geschichten - und zwar aus den Gedanken über die Gedanken, die bei der Abwicklung der Geschichte trivialer Vorgänge entstehen. Diese Gedanken­geschichten streben der realen Absurdität des Erlebens zu, der paradoxen Unmöglichkeit des einfachen Gedankens in einer dem Gedanken chaotisch erscheinenden, mit ihm nicht versöhnbaren Wirklichkeit. Von kafkaeskem Atem angeblasene Erlebnisgeschichten werden von fast mathematisch-philosophischem Denkwerk einer Lösung zugeführt. die eher Un-Lösung ist.

Viele der Geschichten sind Zwiegespräche zwischen einem fiktiven "Real-Ich"-Erzähler und einer seiner realen Fiktiv- Facetten. Unverhoffte Tiefgründigkeit ergibt sich aus dieser Auseinandersetzung des Erzählers mit einem seiner Doppel aus der Palette der multiplen Persönlichkeitsaspekte. Für die Entstehung von Gedanken Ist ja nichts förderlicher als die natürliche Spaltung des “Ich" in alle ihm nötig oder möglich werdenden Formen - dem Muster der Welt und der Existenz schlechthin entsprechend. Wahrscheinlich kommen Schizophrenie oder MPS 0der Wirklichkeit der (eben nur im Denken möglichen) Göttlichkeit am nächsten, da diese Verfassung eine der Grundlagen, wenn nicht sogar die Grundlage überhaupt des Wesens der Gedanken und letztlich des Denkers ist. Vielleicht ist die Annäherung Wahrheit des Denkens, also Lebens - gewollt oder ungewollt - Nerv und Kern dieses Buches und (fast) aller seiner Geschichten. Seinen Gedankengängen läßt Bergmann die Freiheit, mal auf die Spielwiese, mal in irgendeinen undurchdringlichen Gedankendschungel, mal an sonst gemiedene Abgründe zu führen.

Auch wenn Gefühlvolles oder Intuitives sich kaum im Denkraum einfinden und die Sprache gelegentlich zum Spröden neigt, kommt dies der wirkenden, seltsamen Spannung eher zugute. Spannend sind viele dieser „Denkgeschichten“ wegen ihrer unverhofften Wendungen, ihrer hakenschlagenden Erlebnislinien. Es wäre vielleicht zuviel gesagt, Rudnikovs, pardon, Bergmanns Geschichten machten süchtig, aber doch entsteht immer diese Lust auf „noch eine kleine“. -lg-

Leo Gillessen, in: KRAUTGARTEN Nr. 36, MAI 2000, 19. Jahrgang I

Kopflose Geschichten zum Kopfzerbrechen 

BENDORF-SAYN.  ... Da verlangten die Gedichte und Erzählungen von Ulrich Bergmann, Autor und Gymnasiallehrer aus Remagen, vom Publikum mehr als nur einen Gedankensprung. Die Überschrift „Kopflose Geschichten“ war schlichtweg eine Falle. Denn gerade der Intellekt war nun gefragt. Über skurrilen oder ganz schwarzen Humor kann - oder will - nicht jedermann schmunzeln. Wortspielereien, die das blitzschnelle Verfolgen einer gelegten Spur voraussetzen, lassen so manchen kapitulieren, noch ehe die Pointe ein punktgenaues Ende setzt. Und dann kommt das Lachen eben spät - zuweilen auch gar nicht. Bergmanns „Freund Arthur“ steht für kleine Geschichten, die Alltägliches ganz ungewöhnlich aufs Korn nehmen. Wie mit dem Skalpell werden Gewohnheiten seziert. Peter Lindemann

RHEIN-ZEITUNG 4./5.9.1999

 

LIEBE SCHLANGE, LIEBE LIEBE

Ein kleines Heftchen mit so großer Wirkung. Ulrich Bergmann, einer der Begabtesten des deutschen Lit-Undergrounds, präsentiert acht Liebes-Geschichten mit teils poetischem, teils aphorismenhaftem Einschlag. Liebe, Leben, Grübeln, Schmerz, Tod bilden eine Einheit: „Wenn wir nicht merken, dass wir leben, sind wir tot, sage ich. / Ist das die große Erholung?, fragt Schlange. Ja, sage ich, schlaf ein! / Gute Nacht! / Lebe wohl, Schlange“ (aus „Gute Nacht, gute Nacht“). Die unschuldige Liebe gibt es bei Bergmann nicht. Das erste, zarte Berühren ist schon Sündenfall - wenn auch nicht im biblischen Sinne. So bleibt die Einsamkeit stetiger Begleiter, letzter Freund im Verlauf des Lebens, das zunehmend an barbarischer Dunkelheit gewinnt: „Sowieso schreibe ich, wie gesagt, die schönsten Karten in Gedanken - / Ausrede! / Im übrigen, sage ich, die Karte wäre doch gar nicht angekommen. / Das stimmt, denkt Schlange, der Himmel hat kein Postamt. / Die Hölle, sage ich, auch nicht.“ (aus „Hermetischer Zirkel“).

 

Karlyce Schreiber

ISBN 3-936165-19-X, 3 €, edition Galerie VEVAIS - Souvenirs